müßig – keiner [sinnvollen] Beschäftigung nachgehend; [auf gelangweilte Weise] untätig
(Duden)
Dieses altmodisch und gehoben anmutende Wort verschwindet zusehends aus unserem Sprachgebrauch. Aber es ist nicht einfach nur ein Wort, es ist eine ganze Kultur, die vom Aussterben bedroht zu sein scheint – ich nenne sie die Kultur des Müßigganges. Die Kultur des Innehaltens, des Stehenbleibens, des Nichtstuns, des Stoppens von Uhren. Hat alles in unserer hektischen und schnelllebigen Gesellschaft keinen Platz. Selbst in der Definition von Duden lese ich eine negativ behaftete Verwendung dieses Wortes heraus. Einer Person, die untätig ist, muss also langweilig sein. Nichtstun ist also keine sinnvolle Beschäftigung.
Bitte versteh mich nicht falsch, ich möchte nicht dazu aufrufen, ab jetzt nur noch faul und träge zu sein (wobei, ein bisschen finde ich okay ;)).
Aber wie wäre es denn damit, wenn du dir auch Momente gönnst, wo du jeden möglichen Stress und Anspannung fallen lässt und einfach nur mal chillst. Beobachte dabei mal deinen Atem. Spüre, wie dein Brustkorb sich hebt und wieder senkt. Macht sich nun Ruhe und Gelassenheit bei dir breit?
Dolce Vita – luxuriöses Leben, das aus Müßiggang und Vergnügungen besteht
(Duden)
Zur Kultur des Müßigganges gehört für mich auch dazu, in einem gewissen Rahmen einfach nur die Dinge zu tun, die ich auch wirklich machen will. Hierzu möchte ich eine weitere in Vergessenheit geratene Wortschöpfung ausgraben: Dolce Vita.
Dabei kommen mir sofort ganz bestimmte Bilder in den Kopf: Reiche Menschen, die in ihrer Villen und Yachten in Saus und Braus leben und ihre Zeit und Geld nur für ihre teuren, teilweise moralisch fragwürdigen Hobbys ausgeben.
In der Mittelschicht des Nord- und Mitteleuropa, wo sich viele von uns dazu zählen dürfen, geht es uns aber auch nicht so schlecht, würde ich mal behaupten. Wir können uns zwar vielleicht nicht alles leisten und manche sagen, das wird in den kommenden Jahren/Jahrzehnten noch drastischer werden. Aber wenn ich bei Zusammenkünften von Familien und Freund*innen wie etwa Weihnachten oder Geburtstage sehe, was wir dabei alles konsumieren und dann noch ab und zu fortgehen oder etwas unternehmen können…
Ich weiß, dass es mehr als genug Menschen gibt, die sich das alles nicht leisten können und vielleicht nicht einmal ein warmes Zuhause haben. Jedenfalls bin ich sehr dankbar für jede Mahlzeit, jeden Urlaub und alles, was ich mir leisten kann. Umso wichtiger ist es für mich, bei Konsum achtsam zu sein und bin mir bewusst, dass ich hier selber noch einiges lernen darf.
Was mich auf diesem Weg unterstützt:
Seit 2012 praktiziere ich in verschiedenen Meditationsgruppen für junge Erwachsene, was sich bestimmt maßgeblich in einigen meiner Charakterzüge niederschlägt. Ich bin sicherlich ruhiger, gelassener und gleichzeitig auch zugänglicher geworden. Ohne Meditation hätte ich weniger Lebensfreude und nebenbei auch einen kleineren Freundeskreis. Nicht, dass es mir jetzt darum geht, viele Freund*innen zu haben, aber es erfüllt mich mit Freude, auf diesem Weg viele neue, wundervolle Menschen kennenzulernen.
Klar ist natürlich auch, dass ich dabei immer wieder auf Herausforderungen stoße. Manche davon sind vielleicht etwas heimtückischer und kommen immer wieder zum Vorschein. Bei mir sind das Fragen wie „Wie kann ich diese Praxis in meinem Alltag umsetzen?“ oder „Wie erreiche ich einen Zustand von absoluten Frieden in mir?“
Ich halte Achtsamkeit im Alltag für wichtig, weil es nun einmal nicht genügt, im stillen Kammerl nach Erleuchtung zu streben. Unser Leben findet nun einmal großteils „da draußen“ statt – ein Umstand, der mir zwar nicht immer leicht fällt, anzunehmen (und dir?). Aber ich nehme es zumindest zur Kenntnis und versuche, in jedem Moment, in jeder Interaktion präsent zu sein. Gefühlte 9 von 10 Mal scheitere ich dabei, auch wenn dieser subjektive Eindruck etwas streng anmutet. Aber er hilft mir dabei, meine Achtsamkeit zu verbessern und erinnert mich daran, liebevoll mit anderen und vor allem mit mir selbst zu sein. Auf diese Art und Weise komme ich vielleicht auch dem Zustand von absoluten Frieden in mir selbst etwas näher.
Ich kann mich glücklich schätzen, einen ausgeprägten Sinn für Gefühle oder anderen nicht greifbaren Zuständen zu haben, andererseits bin ich auch ein irrsinniger Kopfmensch. Das ruft immer wieder innere Konflikte in mir hervor, besonders in Meditationseinheiten. Wenn mir dann andere Meditierende berichten, sie hätten Friede und Verbundenheit in sich und dem ganzen Raum wahrgenommen, merke ich, dass ich mit mir selbst oftmals kritisch umgehe, wenn ich solche Zustände nicht erlebt hatte. Ich müsste mich eben mehr anstrengen, sage ich dann zu mir selbst. Hier liegt aber das eigentliche Problem: Je mehr du dich an sogenannten „Schwierigkeiten“ anhaftest, umso größer erscheinen sie dir.
Es gibt im Buddhismus so etwas wie „Rechte Anstrengung“ oder „Rechtes Bemühen“. In den verschiedenen Traditionen gibt es hierzu unterschiedliche Auslegungen, die zum Teil auch kontrovers diskutiert werden. Es gibt da zum Beispiel das Klischee des Zen-Buddhismus, wo alle stunden- oder tagelang sitzend gegen die Wand starren (welches zutreffen kann, aber keinesfalls muss). Eine, für uns Menschen im Westen zugänglicher erscheinende Auslegung, ist die des Mittleren Weges. Dabei geht es darum, auf Vergnügungen und Ablenkungen im eigenen Ermessen zu verzichten (dein inneres Bewusstsein weiß eh genau, was dir guttut und was nicht), ohne dabei es mit Einschränkungen im Alltag zugunsten der buddhistischen Praxis auf die Spitze zu treiben.
Hier hätten wir also eine mögliche Umgangsweise zu den oben beschriebenen Lebensformen in Bezug auf Konsum. Zu dieser Thematik passt auch folgendes Sutta, ein buddhistischer Text, über Buddhas Schüler Sona, der ein meditativ abgeschiedenes und bescheidenes Leben führte und auch er hatte Probleme, ein gesundes Mittelmaß zwischen Anstrengung und Trägheit zu finden. Als sein Lehrer davon erfuhr, antwortete er darauf mit einem Gleichnis:
…Sag, Sona, du hattest dich doch wohl früher, als du noch im Hause lebtest, auf den Saitenklang im Lautenspiel verstanden?
Ja, o Herr.
Sag, Sona, wenn die Saiten deiner Laute zu straff gespannt waren, gab dann wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?
Nein, o Herr.
Wenn nun aber die Saiten deiner Laute zu lose gespannt waren, gab dann wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?
Nein, o Herr.
Wenn nun aber, Sona, die Saiten deiner Laute weder zu straff noch zu lose gespannt, sondern auf mittlere Tonhöhe abgestimmt waren, gab dann wohl deine Laute einen vollen Klang und war sie zu gebrauchen?
Ja, o Herr.
Ebenso auch, Sona, führt allzu straffe Anspannung der Willenskraft zur Aufregung, allzu schlaffe Anspannung aber zur Trägheit. Darum, Sona, halte dich an ein Ebenmaß deiner Willenskraft, erwirb dir ein Ebenmaß deiner Fähigkeiten und strebe dann nach dem Ziel…
(Sona-Sutta, Pali-Kanon AN 6.55)
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