Liebe Leserin,
Lieber Leser,
dieser Text hat die bisher längste Bearbeitungszeit beansprucht, nämlich circa 5 Monate. Natürlich nicht durchgehend, sondern mit vielen Pausen, insbesondere aufgrund meines 2017er-Sommerlochs, das ich im Artikel noch einmal erwähnen werde. Dennoch finde ich, dass er sehr rund geworden ist, einen roten Faden hat und auch deswegen bin ich sehr zufrieden mit dem Resultat. Schreib mir gerne einen Kommentar, wie du meinen Text findest und insbesondere würden mich deine Gedanken, Erfahrungen und Gefühle zu diesem Thema interessieren.
Mathias
2016 habe ich bei meinem Coach Robert Kraxner einen Prozess zur Findung und Kultivierung meiner eigenen Stärken bzw. zur Entdeckung der persönlichen Berufung/en begonnen. (Dank dieses Prozesses habe ich übrigens auch zum Schreiben wiedergefunden.) Einmal hat er mir dabei aufgezeigt, zwischen Alleinsein und Einsamkeit zu unterscheiden. Während sich Alleinsein sich auf den physischen Zustand beschränkt, hängt Einsamkeit nicht davon ab, ob man von anderen Menschen umgeben ist. Vielleicht kennst du ja das Gefühl, in einem Raum voller Menschen zu stehen und sich trotzdem „allein“ zu fühlen – das nennt man dann wohl Einsamkeit.
Im Frühjahr 2017 setzte ich mich mit starken Einsamkeitsgefühlen auseinander. Wobei mir solche Gefühle grundsätzlich nicht neu sind. Ich weiß meine Familie, die immer hinter mir steht, sehr zu schätzen. Auch Freund*innen haben mir schon durch die eine oder andere dunkle Stunde geholfen. Dennoch war mir immer schon bewusst, dass man die Hürden, die im Leben immer wieder mal auftauchen, nur selber überwinden kann. Manchmal versuche ich diese Hürden zu umgehen, auf gut Wienerisch, mich durchzuwurschteln. Manchmal steh ich einfach nur da und schau deppert (auch Wienerisch). Doch meistens versuche ich die Hürde zu erklimmen und steige dabei so hoch hinauf, wie ich kann. Da kann es aber auch passieren, dass ich wieder weit hinunter falle. Die Landung dabei tut bekanntlich weh. Und die Schmerzen, die ich dabei forttrage, kuriere ich meistens so lange alleine aus, bis ich es nicht mehr aushalte und mich jemandem öffne.
Jedenfalls litt ich unter Einsamkeit, die lange Zeit unter der Oberfläche verborgen war. Ich kann gar nicht genau sagen, warum. Am Schlimmsten war es, wenn ich von unterwegs in meine stille Wohnung heimkam. Das kennst du vielleicht auch, in der Gesellschaft ist es oft schön und lustig, aber wehe du bist einmal alleine, da könntest du dich ja mit deinen Gefühlen auseinandersetzen. Huch! O:
Viele Menschen lenken sich, wenn sie z.B. alleine unterwegs sind, mit Internet, Musik etc. ab. Ich halte meine Internetaktivität grundsätzlich beschränkt. Nämlich nur zu bestimmten Tageszeiten oder als bewusst gewählten Lückenfüller. Ich glaube, dadurch nehme ich meine Gefühle auch öfter bzw. deutlicher wahr. (Auch wenn ich mich gerne durch Gedanken jeglicher Art ablenken lasse.)
Für mich ist es offensichtlich, dass ich aufgrund meines Handicaps und meiner Lebenseinstellung in gewisser Weise nicht Teil der breiten Masse bin. Ich sehe mich als jemanden, der seine eigenen Wege geht. Wie schon in diesem Artikel beschrieben, fehlt es mir aber dabei zu oft an Selbstvertrauen, das auch kompromisslos durchzuziehen und das macht dieses Unterfangen zu einer manchmal sehr schmerzvollen Angelegenheit. Es macht mich teilweise zurückhaltend und verschlossen, dagegen nur in selbstdeklarierten sicheren Rahmen zugänglich. Der Prozess, mich anderen mehr zu öffnen, begleitet mich auch speziell hier seit der Anfangszeit meines Blogs, weshalb ich zuversichtlich bin, dass meine Texte mit der Zeit noch authentischer werden. 😉
Und wie ging’s weiter? Konnte ich meine intensive Einsamkeit überwinden?
Es folgte die Neuland-Phase. In dieser Zeit war ich viel unterwegs und es wurde mir deutlich wie noch nie aufgezeigt, dass Einsamkeit nicht nur in den eigenen vier Wänden existiert. Wenn du abends alleine im Hotelzimmer sitzt und du das Gefühl bekommst, dass dir gleich die Decke auf den Schädel fällt, dann wird dir schon ein bisschen anders. Es war ein bisschen ein Ohnmachtsgefühl. So auf die Art „Und was jetzt?“. Warum wissen wir so wenig mit uns selber anzufangen? Wieso halten wir es alleine, ohne Ablenkungen wohlgemerkt, so schlecht aus? In der heutigen sensationsgierigen Gesellschaft haben wir wohl verlernt, Momente der Stille und Gefühle der Einsamkeit überhaupt zuzulassen.
In dieser Neuland-Phase, sowie in der darauffolgenden Sommerloch-Phase, habe ich auch intensiv wie noch nie die Liebe im Außen gesucht. Ich bin mir meiner Eigenverantwortung in Bezug auf Selbstliebe durchaus bewusst, auch wenn ich manchmal das Gefühl habe, dabei wieder einmal bei null anzufangen. Aber es muss ja nicht grundsätzlich ein Fehler sein, mein Herz gleichzeitig auch für andere Menschen zu öffnen. Dennoch frage ich mich manchmal, ob das nicht ein Widerspruch ist. Diese Ansicht bestärkt sich besonders bei jeder Enttäuschung, die ich bisher auf dieser Ebene hinnehmen musste.
Aber bei jeder Enttäuschung (und das muss nicht unbedingt mit Liebe zu tun haben) lernt man nicht nur seine Mitmenschen, sondern auch sich selbst besser kennen und dass man der eigenen Linie immer treu sein sollte. Nicht darauf versteifen, aber sich auch nicht verbiegen lassen.
Anhaftung an Hoffnungen ist für mich genauso wenig hilfreich wie Gleichgültigkeit oder Resignation, um aus der Situation der Einsamkeit wieder herauszukommen. Ich habe gelernt, dass jegliche Verlockung von Außen kein Heilsbringer für Einsamkeit ist, sei es eine andere Person oder materielle Dinge. Auch das Warten, dass etwas Wundersames passiert, verringert nicht das Leiden – im Gegenteil, es intensiviert es so sogar.
Mittlerweile kann ich die Momente der Stille in meiner Wohnung wieder genießen. Auch wenn ich nach gewisser Zeit dann gerne die Musik aufdrehe. Aber auch das darf sein.
Und es wird wieder Tage geben, wo ich mich einsam fühle und die Sehnsucht aufkommen wird, verstanden und geliebt zu werden. Ich versuche einfach, mein Herz offen zu halten und die Gegenwart anzunehmen, egal wo ich gerade bin.
Es gibt kein ultimatives Heilrezept gegen Einsamkeit. Aber es ist sicher nicht verkehrt, sie einfach anzunehmen, ihre Wurzeln und Hintergründe zu betrachten und zu erkennen, dass alles wieder vorüber geht.
Alles hat ein Ende, nur die Wurscht hat zwei.
(Das gilt übrigens auch für vegane Würschteln. :P)